Komm’ doch, Du 2017!

Wir sind jetzt Vegetarier. Ich habe Laktoseunverträglichkeit, Bluthochdruck, eine miese Sehfähigkeit, Rückenschmerzen. Und ich habe einen minderjährigen Sohn, dessen Kinder ich gerne noch kennenlernen würde – die will der nämlich mal haben und das dauert noch ein bisschen. Ob Huhn- und Schweinelosigkeit da hilft, werden wir sehen. Man darf hoffen dürfen! Salami und Currywurst gibts hier ja eh nicht viel und so halte ich gut durch. Es wiederholt sich, wie jedes Jahr, die Devise „Wechsel, Wandel und Erneuerung“:

  • von Gewohnheiten (siehe oben)
  • von Einstellungen (Dank des Blickes über den Rand des Tellers namens BRD)
  • vom Selbstbild Richtung jung in alt (Dank … naja is‘ klar) und somit
  • von unsterblich in sterblich und nicht zu vergessen
  • vom Katzenhasser zum -liebhaber

Während ich das hier schreibe fühle ich, dass es noch eine Wandlung gibt, leise, ganz leise wächst sie, die Erneuerung von „Ich-wär-so-gerne-von-Bedeutung“ in „Ihr-könnt-mich“. Weiterlesen

Ramsch

Zwei Expat-Damen prophezeiten mir zu Beginn des Abenteuers hier vor über drei Jahren lakonisch, dass ich mindestens 5 Kilo zunehmen, Alkohol mein zweitbester Freund werden und der Alterungsprozess um ein Vielfaches schneller sei. Auch an die kleine miese Stimmung als steter Begleiter sei sich zu gewöhnen. Selbstverständlich wusste ich, dass dies bei mir nicht der Fall sein würde. Ich würde schlank, fließend arabischsprechend und gesund und vor allem nüchtern wie der Phönix aus der alten Asche, emporsteigen. Natürlich dabei immer fröhlich. Raus aus dem Sachsenhäuser Alltag und rein ins neue unbekannte Leben, wie könnte das anders sein als erfrischend, verjüngend, glättend. Nun, nach drei Jahren ist  zuzugeben, dass dem nicht ganz so ist und die Phrophezeihungen sich zumindest zum Teil bewahrheitet haben. Tatsächlich ramscht man hier etwas zusammen. Das liegt aber nur zum Teil am Alkohol oder der sengenden Hitze. Nein auch die Neudefinition des Lebens setzt einem zu und faltet einen nicht unerheblich zusammen. Sollte also jemand diese Worte lesen, während er sich auf einen Aufenthalt hier vorbereitet, möge er meine Worte im Herzen bewegen: Es kommt immer alles anders als man denkt. Das drinnen im Kopf wird wichtiger, der Rest bleibt eine Katastrophe, wenn es eine ist.

Wüste Wiesn

Das vierte Jahr in Doha nun also im Blick. Wieder sind Menschen um uns herum mehr oder weniger plötzlich verschwunden, aus Katar und aus unserem Leben. Der erste Schock ist überwunden, neuer Tatendrang entsteht. Selbst der Verlust eines jahrzehntelangen Klienten scheint drei Tage nach Bekanntgabe überwindbar. Ein Loch entsteht, aber man kann es mit Neuem füllen, oder nutzt die Leere zur Besinnung. Weiterlesen

So ein KAK-Sommer

Unsere ersten zwei Wochen daheim in D. sind schon vorbei und gestalteten sich bisher von „Ach, ist das schön“ bis „Was mache ich hier eigentlich?“ Sprich: kein Urlaub in Sicht, sondern nur Verlagerung der Örtlichkeiten mit identischen Geschehnissen. Der „Ach ist das schön“-Teil fand dabei vornehmlich in der ersten Woche in Bayern statt. Es gibt auch jetzt, zwischenzeitlich weitergereist in die Heimstadt F. positive Zusätze, wie das Treffen von Freunden, frische Luft und Heimatgefühl – es gibt aber auch die Verschlechterung, wie „leben ausm Koffer“, Klimaanlagenmangel, Nerverei mit dem Kind („Ich hab Hunger, ich hab Durst, ich brauch Internet“) und leidiges Reiseoffice. Neben dem Glück des Wiedersehens bin ich gleichzeitig nicht sehr froh über die zu kurzen Begegnungen mit Freunden. Die Zeit ist knapp, gemeinsame Zeitfenster zu finden fast utopisch. Innerhalb einer Woche, die ich selbst überhaupt Zeit habe, ballen sich eine Hand voll Treffen innerhalb zweier Tage! Es ist mir wichtig, aber in Wahrheit ist das alles hier ein einziger Organisationsmist, bei dem ich zwischendrin auch noch arbeiten darf. Vielleicht sollte ich die Sommer in D. einfach unter dem Motto „Kontakt, Arzt und Kultur“ betrachten, denn neben den Dates haben wir eine irre Menge an Arztterminen zu bewältigen und Theater, Ausstellungen und so sind ja auch noch unbedingt zu mitzunehmen. Es ist also bisher ein echter ein KAK-Sommer, und jetzt, wo das Kind einen Namen hat, geht’s mir auch schon wieder viel besser!

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Das Richtige im Falschen

6.7. Sommer 2016
Expats argumentieren ihren Wegzug aus Katar oft sinngemäß damit, dass es ja nicht das richtige Leben sei, in dem man dort lebe. Sie sehen sich und ihre Kinder in einem falschen, einem unechten, künstlichen Dasein, aus dem man spätestens nach drei, vier Jahren hinaus müsse, um sich wieder hinwenden zu können zur Realität.
Hier nun, in einem 1500-Seelendorf in Bayern, sinniere ich darüber, was das wahre, echte, ungekünstelte Leben ist und ob es das überhaupt gibt. Da oben heute auf der Alm jedenfalls, wo Hühner statt Katzen unterm Tisch um Brezelkrümel betteln, das saftiggrüne Gras blendet und mit Anheben des Kaffeehaferls von rechts ein blondes Mädel auf einem gelben Gaul um die Ecke kommt und die Dirndl-tragende Bedienung grüßt, während diese den Obazden, mit Salzstangen dekorativ angerichtet, vor mich stellt, drunten im Tal ganz, ganz saubere Kühe einer Frührenter-Wandersgruppe fröhlich hinterherlaufen und dabei auch noch die Glocken so schön bimmeln, kommen mir Zweifel, ob wir uns  denn h i e r  im wahren Leben befinden.
Ich drehe meinen Kopf rechts hin zum Mann, er tut‘ mir gleich, wir schauen uns ungläubig an – es fehlt das Mannsbild in Lederhose mit Trachtenhut, das auf einem Trecker vorbeifährt … Wir hören wir ein Motorengeräusch, ein Türklappen, tiefsten Miesbacher Dialekt … Es wird doch nicht … Puh, nein, das wäre zuviel. Ein volltätowierter Mitfünfziger steigt aus einem Pajero. Frisur aus der Achzigern (hinten rasiert, oben ein dauergewellter Puschel), die Brille mit Blitz-Design, kurze, beige Hose, hellblaues T-Shirt. Okay, das ist schon eher reel, oder doch vom anderen Stern?

Wo ist es aber nun, das wahre Leben? Was muss gelernt, erlebt und gelebt sein und gehört zum Kanon des wirklichen Daseins?

Wir beschließen am Ende des Tages, dass das wahre Leben subjektiv ist und es auch bleibt und finden es unglaublich, dass es soviele Wahrheiten gibt und total doof, dass man immer glaubt, man hätte die einzig wahre.

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