”Zurück auf Start“ ist hart

Liebe S.,

wurde ja auch Zeit, dass ich endlich mal schreibe. Seit Monaten lasse nichts von mir hören. Nicht, dass es nichts zu erzählen gäbe, aber ich habe das alles zugegebenermaßen ganz schön unterschätzt: Neue Kultur, anderes Klima (ist dann doch noch heißer geworden …), Schulumstellung, Arbeit …  Man glaubt, man habe genügend Erfahrung, jedoch: ”Zurück auf Start“ ist hart! 
Dazu kommt, dass man sich nicht nur kilometermäßig immer weiter von Deutschland entfernt und das Kontakte-halten dadurch auch nicht einfacher wird. 



Am Montag fange ich einen Chinesisch-Kurs an, und auf die Hirnmassage freue ich mich sehr, denn der Kurs wird auf Englisch gehalten und das ist immer noch nicht ohne für mich: Das Englisch, welches hier gesprochen wird, ist nämlich einfach nur krass … (Dazu ein kleines Video zur Erläuterung)
Und falls Du Dir das Video wirklich anschaust: Das Englisch, das die Dame darin spricht, ist das HOCHDEUTSCH unter den hier im Alltag gesprochenen Englischversionen. Natürlich habe ich Panik vor 6500 Zeichen, die man lernen kann, von denen man aber nur 3500 zum Zeitungslesen braucht, aber dass es keinen Plural gibt und keine Zeiten, macht mir doch ein wenig Hoffnung.

Singapur ist voll und wir haben einen Müllschlucker in der Wohnung. Nicht nur deshalb ziehe ich mich gerne in unsere Wohnung zurück, lasse den Trubel draußen und komme erst wieder raus, wenns dunkel wird und angenehm das halbwegs laue Lüftchen weht. Sonst verbrutzelt man sich Haut und Hirn und dazu kracht und donnert und regnet es. Auf den Fotos, die ich mache, sieht immer alles so frisch und klar aus, das zerstörte Wesen hinter der Kamera ist unsichtbar, man bemerkt nicht die roten Flecken im Gesicht, spürt weder die Klamotten, die kleben, noch hört man die Schnappatmung und ein, zwei, drei leise „Scheiße, verdammt, ist das heiß heute!“

Mit den Locals kommt man ganz gut in Kontakt, aber Freunde finden klappt wohl nur, wenn man hier in einem Team arbeitet und einfach mehr Zeit mit anderen Menschen verbringt. Da ist Alleinkampf vorm Computer nicht wirklich hilfreich. Meine intensivsten Gespräche habe ich mit Taxifahrern, die ich munter ausfrage und die das auch bei mir tun. So erfahre ich alles über Wetter, Politik und Wohnsituation auf meinen Fahrten durch die Stadt, mal zum Mittagessen, mal zu einem Ort, den ich noch nicht gesehen habe und Herr Chong oder James oder Frau Tsai Fen Tsu erfährt im Gegenzug alles über deutsche Politik, meine Familiensituation und über Singapur aus der Sicht eines Expats.

Mit den Bestelltaxis (erst Uber, jetzt Grab) ist das möglich und so komme ich vom Berg, auf dem wir wohnen, ganz gut runter in die Stadt. Manchmal nehme ich auch das Fahrrad, nicht meins, sondern die, die hier überall herumstehen, eine Bike-App machts möglich, klick und ich sitze auf einem viel zu niedrigen Sitz, ziehe beim Fahren die Knie ganz asiatisch unters Kinn und trete bedächtig nach vorne. 
Singapur, Du hast doch ein wenig an Glanz verloren, den Du in meiner Phantasie verbreitet hast. Ich melde mich wieder und bis dahin noch ein paar Fotos.

Deine C.