For-ever-home

Cookie begleitete uns von 2015 bis 2018. Ihr Auftauchen in unserem Leben war genauso plötzlich wie Ihr Verschwinden und sie war, soviel ist heute klar, ganz und gar keine marginale Erscheinung darin.

In Doha von der Straße gepickt und als Überlebende des harten Straßenkatzen-Daseins mit dem Namen „Tough Cookie“ versehen, sehe ich ihr Foto zufällig im Internet, wo ein „For-ever-home“ für sie gesucht wird. Wir nehmen sie also auf und schnell wird ein „ohne sie“ vor allem für mich und den Sohn unvorstellbar.

Detailreiche Beschreibungen unserer Erlebnisse mit ihr, die Dramen (sie verletze sich, wurde verletzt, verschwand für ein paar Tage, nervte) und die wunderbaren Momente (sie sprach mit uns, aß mit den Pfoten, versüßte mein einsames Arbeiten im Home-Office und war die beste Freundin des Sohnes) unterlasse ich lieber, denn jeder Katzenfreund kennt diese Geschichten und für alle anderen sind sie ja doch unerträglich.

Cookie gehörte nun zu uns und natürlich musste sie mit uns reisen, als wir von Doha nach Singapur zogen. Endlich wieder vereint, nach einem Zwangszwischenstopp in Deutschland und aufwändigem Import-Procedere, vergnügte sie sich also in unserem neuen Zuhause, bevorzugt draußen, auf dem Balkon.

Leider nicht mit Saugnäpfen ausgestattet, verlor sie jedoch bei einem unbedachten Sprung auf einen Gecko das Gleichgewicht und stürzte am Abend des 20. April 2018 vom Balkon:

Wir googeln eine Notfallklinik in der Nähe und fahren eilig mit der eingepackten Cookie dort hin. Vielleicht lebt sie ja doch noch? Nein, tut sie nicht. Mitfühlend bekommen wir die Optionen mitgeteilt: ”Wieder mitnehmen“, ”Einäschern ohne Urne“ und ”Einäschern mit Urne“. Unbesonnen bezahlen wir die Einäscherung ”ohne alles“ und fahren nach Hause. Ich heule. Der Sohn ist zur Zeit des Sturzes unterwegs mit Freunden.

Das Drama nimmt seinen Lauf. Der Sohn kommt nach Hause und muss informiert werden. Er hyperventiliert, und erst nach Papiertüteneinsatz und vielen beruhigenden Worten, Rescue-Tropfen und Händchenhalten schläft er erschöpft ein. Müde und traurig tappen wir in unser Schlafzimmer und starren mit heißen Augen in die dunkle Luft. Plötzlich tippt mich der Mann an: Wäre es nicht besser, wenn der Sohn sich von Cookie verabschieden könnte? Panik überkommt uns und wir sind wieder hellwach! Es gibt nur eine Möglichkeit: Die anonyme Einäscherung muss verhindert und ein richtiges Begräbnis organisiert werden! Cookies Asche soll in Katar verstreut werden! Schnell aufgestanden und die Klinik angerufen – gottseidank hat sie einen 24/24-Dienst. Puh, das „Ohne alles“ lässt sich stoppen, die Zusatzkosten dürfen wir am nächsten Morgen nachbezahlen. Erschöpft und sicher, das Richtige getan zu haben, fallen wir wieder ins Bett. Es ist mittlerweile 2 Uhr morgens. Ich heule wieder.

Mit trauerndem Sohn und meiner zusammengesunkenen Wenigkeit fährt uns der Mann am nächsten Vormittag zum Nachbezahlen wieder in die Klinik und ich frage dort, einer Eingebung folgend, ob es möglich wäre, Cookie nocheinmal zu sehen. Der Mann hält dies für übertrieben, aber der Sohn will auch und so wird Cookie für uns aus dem Kühlschrank geholt und in einem separaten Abschiedsraum ganz liebevoll aufgebahrt, bevor wir den Raum betreten dürfen. Was es alles gibt. Jetzt heulen wir dann doch alle.

Ein letzter Blick, dann zahlen wir das „Upgrade“. In ein paar Tagen werden wir Cookies Urne abholen. Katar, wir kommen! Es geht uns mit diesen Gedanken gleich ein wenig besser.

Zur Abholung fahre ich diesmal allein mit dem Sohn, die Trauerzeit des Mannes ist bereits beendet. Wir kommen an die Reihe, legen den Abholzettel hin und eine riesige Schublade hinter dem Tresen wird aufgezogen. Wir erwarten, eine Plastiktüte überreicht zu bekommen, schon hatten wir geplant, einen schönen Behälter zu kaufen, vielleicht mit arabischen Zeichen darauf – das wäre doch schön … doch nun sehen wir viele kleine, versiegelte Keramik-Urnen dort in der Schublade eng beieinander stehen. Sie sind fruchtähnlich geformt, mit Palmen verziert, goldenen Tupfen bemalt und mit Namenszetteln beklebt. Eine davon enthält Cookie. Sie wird uns überreicht. Wir heulen wieder.

Währen der Rückfahrt sieht mich der Sohn plötzlich lächelnd an, er hält den Behälter vorsichtig in beiden Händen und sagt, er sei nun froh, denn jetzt wäre Cookie doch wirklich für immer bei uns. So beschließen wir ganz schnell die Aschestreuung in Katar zu vergessen, und dieser verrückten Katze ein echtes „For-Ever-home“ zu geben – auf dem Regal in meinem Büro. Das Wohnzimmer als Ruhestätte würde vom Rest der Familie, das ist uns beiden in diesem Moment sofort klar, nicht erwünscht sein.

Dort steht sie nun und wird täglich mit liebevollem Blick und einem kleinen Kopfschütteln bedacht. Mittlerweile heule nur noch ich manchmal, das sentimentale Huhn – so wie heute, als ich diese Geschichte einer Freundin erzähle, die meinte, ich solle sie doch aufschreiben, sie wäre so traurig und irgendwie auch lustig zugleich.