Bye-bye ”Rich People Area“

Seit wir umgezogen sind, leben wir plötzlich in einer anderen Welt. Wir wohnen jetzt in Bukit Panjang, einen Steinwurf entfernt von der neuen Schule, die ebenfalls hierher umgezogen ist. Zwar leben hier auch einige ”Kaukasier“, wie die Europäer hier genannt werden, jedoch ist es unvergleichbar mit unserem vorherigen Viertel Bukit Timah (auch „Rich people Area“ im Volksmund genannt), in dem vorwiegend Europäer wohnen und das Quartier in allem stark prägen: Restaurants, Läden, Kneipen. Hier nun in Bukit Panjang leben Singapurer, Chinesen, Inder und Kaukasier mit schmalerem Portemonnaie in rechter Eintracht beieinander, kleine, flachhäusige Wohnviertel wechseln sich ab mit riesigen Condos und vereinzelt stehenden, schlanken Hochhäusern. In einem solchen hausen wir im 17. Stock und überblicken das weiträumige Gelände.

In den umliegenden Hochhausvierteln wird streng auf Mischung der Herkunftsländer der Bewohner geachtet, um zu vermeiden, dass von einer Ethnie monopolhaft bewohnte Gebiete entstehen. Einzig die alten Viertel China Town, Arab Street und Little India zeugen von Zeiten, als sich die Bewohner in ihren eigenen Vierteln zusammenfinden durften, um ein bisschen Heimat in der Ferne und Landsleute zu finden. Heute sind diese Viertel besondere Touristenattraktionen, haben aber nichts von ihrer Ursprünglichkeit und Beliebtheit bei den Einheimischen eingebüßt. Natürlich gibt es viele Andenkenläden und Restaurants – es wird zum Verkauf gelockt und geschmeichelt – und trotzdem, es ist einfach schön, hier zu sein. Je nach Viertel gibt es traditionelle Läden und Restaurants. Der Sohn bevorzugt übrigens Little India. Mit seinen Kumpels trifft er sich dort, denn hier gibt es die einzige Möglichkeit an Alkohol zu kommen, ohne 21 Jahre alt sein zu müssen. Ja, ja, die Inder …

In den sogenannten ”HDBs“, den Wohnungen des Housing & Development Board , einer staatlichen Behörde, die für den öffentlichen Wohnungsbau in Singapur zuständig ist, wird das Mischungsverhältnis, von dem ich oben schrieb, durch das Gesetz kontrolliert. Eine derartige Aufteilung wäre in Deutschland undenkbar! Singapur jedoch ist kein demokratisches Land und hier wird Harmonie zwischen den Ethnien und Gesellschaftsschichten verordnet. Das bedeutet natürlich nicht, das es nicht trotzdem Konflikte gäbe. Aber um diese zu handhaben, gibt es wiederum weitere strenge Gesetze und Auflagen. Die Leute werden quasi zu ihrem Glück gezwungen – dies beschreibt die herrschende Politik hier auch allgemein recht gut. Der erste Premierminister Singapurs Lee Kuan Yew, der von 1959 bis 1990 an der Macht war, hielt von Demokratie nachweislich überhaupt nichts, denn, so seine Überzeugung sie sei ”lähmend“. Gut, dass die Singapurer einen Mann wie Yew hatten, der das Beste für seine Leute erreichen wollte. Man kann in der Tat nicht verleugnen, dass er Singapur mit Disziplin und eingeschränkter Freiheit aus Abhängigkeit und Armut in zumindest staatliche Unabhängigkeit und Wohlstand führte. Auch die hochgelobte Digitalisierung, von der in den Medien immer geschwärmt wird, konnte übrigens nur deshalb überhaupt entstehen. Weil sie einfach initiiert und keiner gefragt wurde.

Nach der Unabhängigkeit Singapurs 1959 jedenfalls, um beim verordneten Mischen von unterschiedlichen Kulturen zu bleiben, war die Wohnungsnot riesig und viele Singapurer lebten in Slums. Die neue Wohnungsbaubehörde ließ die Slums räumen und siedelte die Menschen in preiswerte Wohnungen um, eben jenen ”HDBs“. Allein zwischen 1960 und 1965 wurden ca. 51.000 Wohneinheiten vom HDB gebaut, diese natürlich wegen Landmangels in Hochhäusern. 1989 dann wurde die Ethnische Integrationspolitik (EIP) zur Förderung der Integration eingeführt. Um Gettos zu vermeiden, die zu sozialen Konflikten führen, wurden die Wohnungen verschiedener ethnischer Volksgruppen und Einkommensgruppen gemischt. Der Schlüssel zur Verteilung der Gruppen orientierte und orientiert sich auch heute noch am Anteil an der Gesamtbevölkerung Singapurs. 1989 wie heute ist die Aufteilung ungefähr gleich: Nicht mehr als 70% dürfen chinesischer Abstammung sein, nicht mehr als 20% Malaien und nicht mehr als 10% Inder & andere.
Die „Mischung“ in unserem neuen Viertel ist genau so wie beschrieben: Wir gehören hier definitiv zur Minderheit und sind nur spärlichst vertreten. Überall werde ich, besonders von den Kindern, ungläubig angestarrt. Guck’ mal, da läuft (!) eine Ang Mo* (nicht so nette Bezeichnung für ”Europäer“) und trägt ihre Tüten selbst!
Ich empfinde es als lebendig und das gefällt mir und ich freue mich auf die letzten Monate, die wir hier verbringen werden. In ein paar Jahren wird sich das Gesicht von Bukit Panjang verändern. Die Deutsche Schule mit fast 2000 Kindern wird viele Europäer anziehen, die sich rund um die Schule ansiedeln werden.

> Bilder

Die Bilder zeigen u.a. unseren Blick über das Viertel, HBD-Häuser mit den typischen Kleiderstangen, die bis in den letzten Stock aus den Fenstern stehen, dem Hawker Center hier im Viertel, ein Bild aus der überfüllten Innenstadt …

* https://en.wikipedia.org/wiki/Ang_mo