Ein Leben in Schlappen

Wie  einer meiner Arbeitstage hier in Doha aussieht? Nun. Nehmen wir gleich den ersten Tag in der Woche, den Sonntag. Der ist ja eigentlich schon nicht normal, weil er eben ein Sonntag ist und ich immer noch nicht verinnerlicht habe, dass ich hier keinen Montag vor mir habe. Dadurch verwechsle ich schon zu Beginn der Woche alle Tage und komme mit meinen Terminen und dem Stundenplan des Sohnes zunächst einmal durcheinander. Die ersten Stunden am Sonntag vergehen also in gewisser Verwirrtheit.

Ich stehe, wie jeden Werktag, gegen 5.30 auf und bereite die Brotbox und das Frühstück. Bestenfalls ist der Mann schon Richtung Wüste unterwegs, schlechtestenfalls steht er nach mir auf und hängt mir zwischen den Füßen. Ist der noch da, presse ich noch rasch frischen O-Saft als Vitaminspritze für unsere müden Körper. Um 6:15 steht der Sohn auf und beginnt sein erstes Donald-Duck-Buch zu lesen. Dabei schlürft er Kakao und mampft einen Marmeladentoast. Um 6.50 steht Esa vor der Tür, ein uns liebgewordener Taxifahrer, der in den ersten Monaten auch mich durch Doha kutschierte und nun an 3 Tagen in der Woche den Sohn in die Schule bringt, die gar nicht mal so weit weg, in der Nähe der Haloul Street, ist. An schlechten Tagen brauchen die beiden jedoch fast eine Stunde, an den wenigen guten Tagen 15 Minuten. Die Kinder sollten um 7.40 da sein, der Unterricht beginnt um 8. Vorm Compound rechts, dann links auf den D-Ring, immer geradeaus, zwei Kreuzungen überfahren, dann rechts auf die Sliproad, noch eine Ampel, ein U-Turn, rechts rein, nochmal rechts, das ist der Weg. (Das letzte Stück hier auf Video)

Nachdem der Sohn weg ist, mache ich mir einen Kaffee. Wir haben nach einem Jahr nun eine geeignete Methode gefunden, Koffein zu uns zu nehmen: Keinen Mocca (wie grauselig schmeckt hier der Mocca mit Kardamom!), keinen Brühkaffee, sondern Kaffeböhnchen vom Columbus Café (aus dem Landmark am Doha Expy, etwa 20 Minuten entfernt) selber malen (das Maschinchen dafür wie aus alten Zeiten – nein, nicht zum Kurbeln, sondern eine aus den 70ern, die es noch immer gibt, so groß wie ein Babyflaschenwärmer mit kleinem Knopf) und dann portionsweise in den Kaffeevollautomaten drücken.
Es ist jetzt 7 und ich arbeite (z.Zt. an diesem Projekt) zunächst bis 8.30, danach gehts zum täglichen Schwimmen, 900m sind das Ziel. Um 9.15 sitze ich wieder vorm Computer. Bis zum Abholen vom Sohn erledige ich zwischendrin auch diverse Hausarbeiten: Bügeln, Aufräumen, Wäsche machen, das tägliche Einkaufen. Mit dem Wagen fahre ich dazu ins ”Spinneys“, oder ins ”Lulu“, die beide jeweils links und rechts vor unserem Compound etwas 300 Meter entfernt auf der anderen Straßenseite liegen.

Um 13.05 heißt es dann, zumindest sonntags, den Sohn von der Schule holen (12.30 losfahren). Ich bereite etwas Essen zum Mitnehmen vor, denn wir müssen gleich nach der Schule weiterfahren in die Westbay Lagoon zur Mathenachhilfe, die um 14 Uhr beginnt. Das dauert zu dieser Uhrzeit ca. 30 Minuten. Wir bleiben die noch verbleibende Zeit im Auto und ratschen ein bisschen („Wie wars heute in der Schule?“ – „Gut.“). Ich warte dann, ebenfalls im Auto oder im Winter auch am Strand in der Nähe, darauf, dass die anderthalb Stunden vorübergehen (zurückfahren lohnt nicht). Ich versuche dabei arabisch zu lernen, meist lese ich aber etwas anderes, weil ich zu faul zum Lernen bin, oder arbeite Mails ab. Um 15.30 gehts dann weiter zum „Doha College“. Hier trainiert der Sohn im Evosport Swimming Centre zweimal die Woche outdoor von 16.45 bis 18 Uhr. Wir brauchen für die Fahrt dahin ca. eine dreiviertel Stunde bis Stunde, da der Verkehr um diese Zeit wieder anschwillt. Das Training des Sohnes bedeutet für mich erneut anderthalb Stunden warten, entweder in Gluthitze am Beckenrand, oder bei Mama-Geschrei im eiskalten Schul-Café. Auch hier lohnt zurückfahren nicht. Also wieder lesen und ab und zu Sohnemann zuwinken und Thumbs Up zeigen. Nach dem Schwimmen gehts heim. Das dauert bestenfalls wieder eine halbe Stunde. Angekommen müssen evtl. noch Hausaufgaben gemacht werden und gelernt werden. Also nöle ich herum und versuche den Sohn dazu zu bringen nicht im Sitzen einzuschlafen. Nebenbei wird noch gekocht und gegessen. Um 20.30 Uhr spätestens fällt der Sohn ins Bett und ich warte auf den Mann, der dann auch irgendwann heimkehrt. Da wollen dann auch noch ein paar Worte gewechselt werden.

An den anderen Tagen sind noch Kundenmeetings und Arabischkurs einzubauen und meist donnerstags und freitags haben wir die Zeit Freunde zu treffen und etwas zu unternehmen. Rein ins Auto, losbrettern. Ohne Auto geht nichts. An manchen Straßen gibt es kilometerlang keinen Fußgängerüberweg – es ist definitiv nicht möglich von der einen auf die andere Straßenseite zu wechseln. Einige Lebensmüde versuchen es trotzdem. Ich sehe sie am Rand stehen, einen geeigneten Moment abpassen, dann rasen sie los, das Gehupe – ich sehe schon nicht mehr, ob sie es geschafft haben.

Es gibt da so eine Stelle, wenn man vom Landmark kommt, auf einem Fly-Over der Doha-Expy, das ist dann wieder so eine Lieblingstelle. Es gibt dort einen wunderbaren Blick rechts über die Stadt, links sieht man die Westbay mit ihren Hochhäusern, auch schön, aber das meine ich nicht. Ich meine rechts, der Blick zum etwas entfernten Torch-Turm hin und über das Häusermeer davor. Das ist nicht spektakulär, aber wunderbar. Unten, zu Beginn des sandfarbenen Meeres ein Geschäft neben dem andern, ein Sammelsurium von Möbelgeschäften, Imbissen, Friseuren, dahinter die Weite, die unendlich vielen Klimaanlagen und Satellitenschüsseln auf den niedrigen Kastenhäuser im Arabic Unstyle. Vielleicht gelingt mir einmal ein Bild, bisher war der Stau leider nie lange genug um mir einen längeren Blick zu gönnen und die Möglichkeit zu fotografieren zu schenken. Aber vielleicht ist es ja gerade die Kürze des Augenblicks, die es so wertig macht.

Müde entledige ich mich meiner Badeschlappen gegen 22.30 Uhr und verfluche leise die Winterzeit in Deutschland, die es zur Zeit quasi unmöglich für uns macht den Tatort in ganzer Länge sehen zu können, der hier erst ab 22.15 anzusehen erlaubt ist.
Ich frage mich, ob das tägliche Tragen von Schlappen auf Dauer Einfluss auf das allgemeine Lebensgefühl hat? Qatarische Männer jedenfalls laufen ziemlich entspannt und zu jeder Gelegenheit in ihren traditionellen Kleppern umher, die grottenhässlich klobig mit leichtem Absatz, güldenen Schnallen auf der Oberseite und in den präferierten Farben weiß und beige als männliches Bekleidungsstück eher irritierend wirken. Ich bin wohl noch nicht lange genug hier. ”Chill’ mal, Mama!“ ist des Sohnes täglicher Lieblingsspruch.

Bildschirmfoto 2014-10-30 um 19.08.11